|
|
Alle vom Schlage Fausts verkaufen sich selber zur Gänze gegen ein Stück von sich. Als gäbe sich ein ganzes Weizenfeld dahin für eine einzige Kornblume und achtete nicht auf das Korn. Als gäbe sich ein ganzer Wald hin für ein einziges Büschel Heidekraut und vergäße des Wildes und der Vögel für einen Hauch flüchtigen rosigen und violetten Duftes. Seit eh und je sehnt sich der Mensch nach der Erfüllung seiner Wünsche. Aber jeder verfolgt dabei einen anderen Weg.
In alten Zeiten, da die Prager Neustadt noch nicht erbaut war, stand auf dem Hang, der sich zur Moldau senkt, ein Haus. Als die neunen unter Karl IV. emporwuchs, rahmten das Haus die Gebäude des neunen großen Platzes ein, auf dem später die Viehmärkte abgehalten wurden. Das Haus wechselte nicht seinen Ort, aber veränderte im Laufe der Jahrhunderte sein Aussehen.
Dem Hörensagen nach war es kein glücklicher Platz, auf dem man das Haus erbaut hatte. Es stand in der Nähe einer uralten heidnischen Opferstätte, und durch alle Zeiten hindurch umschloss es ein Netz geheimnisvollen Gemunkels. Aus dem Haus führten unterirdische Gänge, einer bis zum Neustädter Rathaus. Diese geheimen Gänge nährten die Geheimnisse des Hauses. Und seine Bewohner? Gelehrte Männer wohnten dort, Ärzte, Alchimisten und Laute, die sich mit sonderbaren Wissenschaften befassten. Unter der Herrschaft des Kaisers Rudolf II. lebte hier der englische Alchimist Kelley, und er war nicht der Letzte in der Reihe der Alchimisten und Gelehrten.
In diesem alten Haus an der Ecke des Platzes wohnte eine Zeitlang angeblich auch der gelehrte Doktor Faust. Die Sage holt uns aus der Tiefe der Zeit seine Gestalt und sein Tun hervor: In seiner Alchimistenwerkstatt beugt er sich über Retorten und Glaskolben, beobachtet das brodelnde Gemisch im Kessel und streicht sich nachdenklich den dunklen Vollbart. Er tritt an das Stehpult mit dem großen, dicken Folianten darauf, in dem statt der Buchstaben geheimnisvolle Zeichen stehen. Fausts Gesicht wirkt im Schein der Kerze noch bleicher, nur die Augen darin brennen in einer gierigen Flamme.
Wonach gierte? Nach der Erfüllung seiner Wünsche? Aber je mehr sie ihm seine Gelehrsamkeit erfüllte, um so größer und unerfüllbarer wurden seine Wünsche. Und als er sich keinen Rat mehr wusste, holte er sich beim Teufel Hilfe. Er griff nach einem dicken Buch, wo siebenmal sieben Arten beschreiben waren, wie man die höllischen Kräfte beschwören könne. Faust sprach die machtvolle Formel aus, und aus einer Rauchwolke trat der Teufel hervor. Er hatte den Vertrag für Faust schon vorbereitet. "Unterschreib nur", sagte der Teufel, "und ich werde dir sieben Jahre dienen und dir jeden Wunsch erfüllen. Aber nach sieben Jahren verfällst du mir mit Leib und Seele."
Sieben Jahre erfüllte Wünsche, sagte sich Faust, welch ein sagenhaftes Glück ist mir beschieden! Andere Menschen leben siebenmal sieben Jahre, und wieviel Wünsche werden ihnen erfüllt? Sieben Jahre erfüllte Wünsche wiegen tausende Jahre auf. In diesen Jahren werde ich alle Geheimnisse ergründen und alle Genüsse der Welt erleben. Faust griff zum Federkiel, der Teufel ritze ihm mit seiner Klaue den Finger auf, und Faust unterschrieb den Vertrag mit seinem eigenen Blut.
Seit diesem Augenblick gab es nichts, was der Teufel dem Doktor Faust versagt hätte. Über Nacht wurde Faust zum reichen Mann. Die Truhe, in der er bis dahin einen kleinen Beutel mit Geld verwahrt hatte, quoll von Silber und Gold über. Und wann immer Faust eine Handvoll Münzen herausnahm, wuchsen das Geld und das Silber in der Truhe sogleich nach. Was Faust in diesen sieben Jahren für Geld kaufen konnte, das kaufte er, und was nicht zu kaufen war. Das besorgte ihm der Teufel.
In diesen alten Zeiten rumpelten über die schlechten Strassen schwerfällige Wagen und plumpe Kutschen. Das Reisen bereitete den Leuten große Strapazen. Steine und Schlaglöcher verschandelten die Strassen, und dort, wo die Wege durch den Wald führten, war das Riesen gefährlich. In jedem Gebüsch konnten Räuber lauern. Nur Faust reiste in diesen Zeiten bequem, sicher und schnell.
In Erfurt im Thüringerland hatte Faust einen Freund. Dieser Freund war ihm sehr ergeben und besuchte ihn auch des öfteren in Prag. Einmal saß Faust in Prag allein beim Nachtmahl, und in Erfurt setzte sich zur gleichen Zeit sein Freund zu Tische. Aber nicht allein. Er hatte eine ganz Schar von Freunden geladen. Und wie sie so in Erfurt speisten und tranken, stieg die heitere Stimmung. Der Hausherr erinnerte sich an Faust.
"Ach, wenn der hier bei uns wäre, dann ginge es erst lustig zu!" Da stand ein junger Mann auf, hob den Becher und reifer: "Faust, Faust, ich trinke auf dein Wohl, hörst du mich? Wo steckst du, warum weilst du nicht unter uns? Ist dir vielleicht dein Prager Haus lieber als die Gesellschaft Freunden?"
Da pochte jemand ans Tor. Der Hausdiener öffnete, und in die Toreinfahrt ritt hoch zu Pferd-Faust!
Entsetzt eilte der Diener zu seinem Herrn im Speisesaal: "Herr, gesprungen und steigt die Treppe hoch."
Der Herr dachte zuerst, sein Diener sei verrückt geworden. Doch bevor er etwas sagen konnte, stand Faust in der Tür.
"Guten Abend, die Herren", rief er, "ihr habt mich gerufen, un da bin ich."
Es dauerte eine Weile, bis sich der Gastgeber und seine Freunde von der Überraschung erholt hatten. Aber Faust benahm sich so natürlich und mit größter Selbstverständlichkeit, dass bald alle Scheu von ihnen schwand. Sie nahmen ihn unter sich auf, und Faust war voller Scherz und guter Laune, und die Gesellschaft voller Lachen.
"Wie habt Ihr das nur geschafft, Meister Faust?" fragte der junge Mann, der durch seinen Trinkspruch Faust herbeigerufen hatte. "Soeben noch in Prag und jetzt schon in Erfurt!"
"Ich habe ein außergewöhnliches Reitpferd", erklärte Faust. "Leider kann ich nicht bis morgen früh bei euch verweilen. Noch vor der Morgendämmerung muß ich wieder in Prag sein."
Alle um die Tafel sperrten Mund und Augen auf. Der Meister will noch in dieser Nacht den Rückweg schaffen!
Da eilte der Diener herbei. "Herr, Herr…" stammelte er, "Euer Pferd, dieses Pferd… Ich kann ihm nicht genug Hafer geben. In bringe ihm Hafer, aber kaum habe ich mich umgedreht, hat es schon alles aufgefressen. Zehn Pferde würden nicht so viel Hafer fressen wie das Eure."
"Du brauchst es nicht zu füttern", beschied ihn Faust. "Dieses Pferd frisst alles, was man ihm vorlegt. Es hat schon genug. Das Pferd hat seinen Hafer gekriegt, und wir lassen uns neuen Wein schmecken", wandte sich Faust an die Gäste. "Was für einen Wein wünscht ihr? Rheinwein, spanischen, französischen, böhmischen oder ungarischen?"
Die Tafelrunde lachte und schrie durcheinander: "Am besten alle!"
"Wie ihr wollt", sagte Faust und bat um einen Bohrer. Damit bohrte er ein Loch in die Tischkante und verschloss es mit einem Stöpsel. Das wiederholte er noch fünfmal. Dann verlangte er einen Becher. Er hielt ihn an das erste gebohrte Loch, entstöpselte es, und Wunder über Wunder, aus der Öffnung floss Rheinwein. Einen zweiten Becher hielt er ein das zweite Loch, und sieh an, aus dem zweiten Loch sprudelte süßer Rotwein aus Spanien. Aus dem dritten ein goldener Stromfranzösischer Wein, aus dem vierten goldroter Mělniker aus Böhmen und aus dem fünften dunkler, feuriger Ungarwein.
Jeder der Gäste konnte sich nach Lust und Geschmack bedienen und das Vergnügen fand kein Ende. Um Mitternacht wieherte im Stall das Pferd das Wiehern drang durch alle Mauern, als stünde das Rossgleich neben der Festtafel.
"Ich muss fort", sagte Faust und schickte sich zum Gehen an. Aber sein Freund hielt ihn zurückt.
Nach einer Stunde erschallte wieder das Wiehern. Faust erhob sich abermals, und wieder hielten ihn die Freunde zurückt.
Als aber das Pferd zum dritten Mal wieherte, dass die Fenster klirrten, ließ sich Faust von niemandem mehr aufhalten.
Alle begleiteten ihn bis vor das Hoftor. Faust schwang sich auf das Pferd, und dieses trabte sogleich los. Übers Pflaster trabte es nur am Anfang. Dann sah die Gesellschaft, wie das Pferd mit den Hufen in die Luft schlug, sich dann emporschwang und immer höher und höher stieg, bis es in der Ferne über den Dächern verschwand. Der Teufel hatte sich in ein Pferd verwandelt, um Faust zu dienen. Er trug Faust durch die Lüfte wie ein Vogel. Und so erfüllte er ihm jeden Wunsch, wann auch immer und wo auch immer.
Nach dem Ablauf der sieben Jahre kam der Teufel in das Haus in der Prager Neustadt, diesmal nicht als Diener sondern als Herr. Jetzt gehörte Faust ihm. Er schloss ihn in die Arme und flog mit ihm durch die Decke hinaus. Die brandgeschwärzte Öffnung in der Decke wagte angeblich lange Zeit niemand zuzumauern. Und als man sie dann doch eines Tages zumauerte, klaffte sie am nächsten Tage erneut. Sie ließ sich nicht schließen.
Eben so ließ die Reihe von Fausts Wünschen nicht schließen. Nach all den erfüllten Wünschen war ihm ein Wunsch offen geblieben - ewig zu leben. Nur dieser einzige Wunsch. Der wichtigste. Und der unerfüllbare.
Monika Zebischová, I.G
Nach dem Buch: Sagen und Legenden aus dem alten Prag