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Einst begab sich die Fürstin Libuše zu der Burg‚ aber der Moldau, die später den Namen Vyšehrad bekam. Außer ihrem Mädchengefolge begleitete sie auch ihre ältere Schwester Kazi. In diese Gegend lebte in einem Dorf unweit von hier.
Gegen Abend erreichten die beiden Schwestern die Burg. Als sie von den Pferden herabstiegen, verschwammen schon die langen Schatten der gezimmerten Gebäude ineinander, und die Sonne ruhte nach ihrer ganztägigen Pilgerfahrt nur noch auf den Dächern und auf dem Kamm der Schanzen. Libuše und Kazi bestiegen einen erhöhten Ort hinter bewaldeten Hänge des Hügels Petřín entsandten über den Fluss einen Duft, stark wie seltenes Gewürz.
Plötzlich hörte man vom anderen Ende des Hofes das Geschrei vieler verwirrter Stimmen. Libuše und Kazi schauten hin und sahen eine ganze Männerschar. In ihrer Mitte schritt ein hübscher Jüngling. Nach vorne gebeugt trug er auf seinem Rücken eine Last. Kazi erkannte in dem Jüngling den Mann, den sie bei ihren Besuchen der Burg schon früher gesehen hatte.
Der Junge Mann trat vor die beiden Schwestern, und die Männer, die ihn begleiteten, bildeten einen Halbkreis um ihn. Alle betrachteten verwundert seine Last. Es war ein riesiges lebendiges Wildschwein, ein Keiler, den er mit bloßen Händen im sumpfigen Wald unten an der Moldau überwältigt hatte. Er trug ihn mit dem borstigen Rücken an seinen Rücken gepresst und hielt ihn an den haarigen Ohrmuscheln fest. Das Wildschwein blinzelte wütend mit blutigen kleinen Augen und bespuckte das Grobe Hemd seines Besiegers.
"Bivoj, Bivoj !" hallte das Geschrei der Männer erneut im Hof und in dem Namen klang Huldigung einer unerhörte Tat, Bewunderung und Dankbarkeit. Der riesige Keiler, den der Mann auf die Burg gebracht hatte, hatte schon seit Wochen auf den Feldern der Dorfbewohner Schaden angerichtet, und es schien, als sei er unverletzbar. So viele Pfeile schoss man auf ihn ab, so viele Speere warf man auf ihn, aber das wilde Tier schüttelte immer den Tod ab wie ein Vogel sein Gefieder.
Nun sollte es vor Libuše, der Fürstin des Volkes, sterben, als wäre es ihr Urteil gewesen.
Im Libušes Blick funkelte Stolz auf den mutigen und starken Mann, der zum Stamme ihrer Tschechen gehörte. Der Blick ihrer Schwester Kazi dagegen strahlte vor Begeisterung und Zuwendung.
Bivoj warf die Last vom Rücken ab, und sobald der Keiler gegen ihn loslegte, durchbohrte er ihn mit seinem Speer. Dabei trat er keinen Schritt zurück.
Im Burghof säuselte ein Lob.
Da stand der Junge Sieger feucht von Schweiß mit einem kurzen Schwert in sicherer Hand, fest entschlossen, dem schädlichen Wild den letzten Schlag zu geben, falls es sich zu einem neuen Angriff aufraffen sollte. Der genau gezielte Hieb mit dem Speer war aber tödlich.
"Bivoj, Bivoj !" hallte ein fröhlicher Jubel durch den Hof.
Eine solche Tat verdiente Lob und Lohn.
Libuše befahl, zu Ehren des Helden ein Festmahl herzurichten, und begab sich mit ihrer Schwester Kazi zur Schatztruhe ihres Vaters Krok, um eine Gabe für den Sieger auszuwählen. Es war ein Gürtel mit Goldplättchen geschmückt. Kazi legte dann Bivoj selbst den Gürtel um die Hüften.
Und es kam Nacht, und viele Feuer brannten, und darüber briet man Fleischstücke vom dem Keiler. Die leicht bittere Mett weckte das Gedächtnis der alten Krieger.
Sie erzählen, wer sich wann als Held ausgezeichnet hatte, wer einen starken Arm gehabt hatte, ein sicheres Auge und Glück. Lang vergangene Jagden und gewesene Gefechte und alte Sagen umkreisten den Schein des Feuers wie Nachtfalter.
Abseits des heiteren Festmahles, dort, wohin das Licht der Flammen nur dann reichte, wenn man neues Holz anlegte, abseits lauter Gespräche, stand Kazi und Bivoj, und sie redeten leise miteinander. Nur das Glitzern des goldenen Gürtels in der Dunkelheit verriet, dass Bivoj nicht weggegangen war. Er sollte auch nicht alleine gehen.
Am nächsten Tag im Morgengrauen nahm Kazi Abschied von ihrer Schwester Libuše und verließ die Burg auf den steilen Felsen über der Moldau. Sie ritt in Richtung Kazín und Bivoj ritt neben ihr.
Sie passierten das Festungstor der Burg Kazín als lediger Mann und ledige Frau, und als sie durch dasselbe Tor nach einigen Tagen die Burg Kazín verließen, waren sie vermählt.
Monika Zebischová, I.G.
Nach dem Buch: Sagen und Legenden aus dem alten Prag